Eine Installation anlässlich der Ausstellung "unbuilt cities" (stadtraum.org)
Teppich, Tapeten, Texte, Fotografien, Bank aus dem Regierungsviertel
Bonner Kunstverein, 2003
Die Arbeit entstand anlässlich der Ausstellung “unbuilt cities” im Bonner Kunstverein. Dem Thema und Ort entsprechend wurde eine städtische Zukunftsperspektive für Bonn formuliert. Bei der Recherche viel besonders das ruhige und bürgerliche Klima der Stadt ins Auge, die den Sprung von der Bundeshauptstadt zur Business-metrtopole spielend und bravourös gemeistert hat. Einzig die alten Repräsentanten der jungen deutschen Demokratie wollen nicht so richtig in die Gänge kommen. Gleich einer “Gated Community” liegt der Bundestag und das umliegende Regierungsviertel im lauschigen Tiefschlaf. Die gewünschte Umstrukturierung des deutschen Freilufthochsicherheits-traktes zum Kongresszentrum geht nur schleppend voran.
Die Arbeit schlug deshalb in einem dreidimensionalen Display vor, die vorhandenen Raumqualitäten zu nutzen und das Gelände in eine Wohn- und Erholungsanlage für Rentner umzuwandeln, da die Anlage deren oft geäusserten Bedürfnissen von Sicherheit, Weitläufigkeit, gepflegter Umge-bung und ruhiger Lage vollkommen entspricht. Die angedeutete Analogie zwischen demokratischem und personenspezifischem Ruhestand im Bezug auf die Umnutzung ist in der Arbeit natürlich rein spekulativ...
Neben dem aus verschiedenen Tapeten und Fotografien, die die Sinnigkeit des Projekts anhand der realen Gegebenheiten darlegen, gestalteten Wänden verweist ein Text auf Konzeption und Vorschlag des Entwurfs. Um eine komfortabelere Lesesituation herzustellen wurde ein Teil der öffentlichen Stadtmöblierung (eine Waschbetonsitzbank aus dem Regierungsviertel) vom Park in den Ausstellungsraum verbracht.
Wandtexte:
Demokratie im Ruhestand: Der Staat
Das kapitalistische System entwickelt sich zyklisch. Auf gemäßigte Perioden des Ausgleichs folgen solche des hitzigen Wettbewerbs und der extremen Konzentration von politischer und wirtschaftlicher Macht. Die französische Regulationstheorie spricht von einem Aufeinanderfolgen extensiver und intensiver Akkumulationsregimes in der Entwicklung des Kapitalismus im 20. Jahrhundert.
Bis in die Zwischenkriegszeit überwiegt ein extensives Akkumulationsregime, das an der weltweiten Durchsetzung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung arbeitet. Extensive Akkumulation ist gekoppelt an eine liberale Regulation: Der Einfluss des Zentralstaats wird weit gehend auf die Bereitstellung der notwendigen Infrastruktur für die im Wettbewerb stehenden Unternehmen reduziert.
Das Wirtschaftswunder der Nachkriegsjahre ist gekennzeichnet durch ein intensives Akkumulationsregime im Rahmen einer fordistisch geprägten Regulation. Massenproduktion und Massenkonsum innerhalb nationaler Grenzen sind Grundlage fordistischen Wirtschaftens. Hohe Löhne werden nicht mehr ausschließlich als Kostenfaktor verbucht, sondern sind Voraussetzung für den massenhaften Konsum der produzierten Ware und damit wiederum für Wachstum und Prosperität. Der Sozialstaat funktioniert im intensiven Akkumulationsregime als Moderator des Interessenausgleichs zwischen den so genannten Sozialpartnern.
Heute können wir die Re-Liberalisierung der fordistischen Regulation und die Extensivierung der kapitalistischen Akkumulation feststellen. Im Gewand der Modernisierung und Anpassung an den nun mehr globalisierten Kapitalismus wird die ausgleichende Einflussnahme des Sozialstaates auf den kapitalistischen Wettbewerb zurückgedrängt. Der Staat wird wiederum auf die Bereitstellung von Infrastrukturen reduziert und subventioniert lokal/ national angesiedeltes Kapital im globalen Wettbewerb mit anderen Unternehmen.
Sozialstaatliche Sicherungssysteme und verbindliche Tarifvereinbarungen werden in Frage gestellt, weil sie die Wettbewerbsfähigkeit lokaler Unternehmen reduzieren. Deregulierte Arbeitsmärkte, die Demontage der Sozialpartnerschaft und Privatisierung der Solidarität sind die Folge und führen zu einer sich beständig verschärfenden sozialräumlichen Polarisierung. Das kapitalistische System ist damit zurückgekehrt zu einem Modell erhöhter Macht- und Reichtumskonzentration, in dem die Privilegien der Besitzenden nicht in Frage gestellt werden.
Die liberale Deregulierung des 21. Jahrhunderts - wie schon diejenige des 19. Jahrhunderts - wird begleitet von der feudalistischen Attitüde der "neuen Eliten", die den Staat als persönliches Eigentum betrachten, das gemäß ihrer Interessen zu verwalten ist. Die Demokratie im Ruhestand, der zurückgedrängte sozial ausgleichende Zentralstaat, hat Machtkonzentrationen und unverblümtem Bereicherungsstreben nichts entgegenzusetzen und kann die Teilhabe aller an Stadt, Staat und Gesellschaft nicht länger garantieren.
Demokratie im Ruhestand: Die Stadt
Der "New Urbanism" der amerikanischen Suburbs wird mittlerweile auch auf die europäische Stadt übertragen. Nach den Grundsätzen der "sozialen Mischung" und "vielfältigen Nutzung" unter der Leitidee des "Choice" sollen verödete Innenstädte revitalisiert werden.
Tatsächlich funktioniert "New Urbanism" als sozialer Filter, der durch eingebaute Preisbarrieren städtische Räume sozial homogenisiert. Die vorgeblich demokratische Leitidee des "Choice" reduziert Stadtbewohner/innen auf Kund/innen, die zwischen verschiedenen Haustypen und Stadt-Szenerien auswählen.
Die in Eigenregie verwalteten Nachbarschaften der Wohnungseigentümer/innen werden als basisdemokratische Projekte proklamiert, sind aber tatsächlich privatisierte Subsysteme, die sich auf der Grundlage einer "gemeinsamen" Identität gegen Eindringlinge zur Wehr setzen. "New Urbanism" heißt Überschaubarkeit, Sicherheit, Vielfältigkeit ohne Überraschungen und Identifikation mit der eigenen Parzelle, eingebettet in die historische Kontinuität der europäischen Stadt.
Customized City: Die im Rahmen des "New Urbanism" von Bürger/innen zu Konsument/innen degradierten Stadtbewohner/innen erwarten auf Maß geschneiderte, kundenorientierte Angebote. Unmittelbare Wohnumgebung und weiteres Umfeld sind an die Bedürfnisprofile dieser kultivierten "Eliten" anzupassen. Kollektive Formen der Selbstorganisation der "Eigentümer/innen" ordnen die globalisierte Stadt von innen heraus neu. Weitgehend privatisierte Räume beherbergen homogenisierte Interessengemeinschaften unter Ausschluss subalterner Einkommensklassen. Der Einfluss der intervenierenden und regulierenden, demokratisch legitimierten städtischen Verwaltung wird sukzessive zurückgedrängt.
Corporate City: Die Corporate City transformiert städtische Verwaltung in wettbewerbsorientiertes Management. Die Angleichung der Lebensbedingungen aller Stadtbewohner/innen, einstmals erster Grundsatz kommunaler Politik, verschiebt sich auf der Prioritätenliste der unternehmerischen Stadt ständig weiter in den Hintergrund. Um marktfähig zu bleiben, setzt sie auf Individualisierung und verschärft die sozialräumliche Polarisierung. Unerwünschte Gruppierungen werden aus der inneren Stadt, den Zonen der intensiven ökonomischen Verwertung, verdrängt und kriminalisiert. Das aseptische Bild dieser ästhetisierten "Urbanität" wird weltweit kommuniziert. Eventkultur, lokale Identität und historische Bausubstanz werden zu Argumenten im Wettbewerb um Investoren, Gewerbeansiedlungen, Tourismus und den internationalen Messe- und Kongresszirkus.
Prozesse der Deregulierung und Privatisierung drängen die Möglichkeiten der Einflussnahme kommunaler Politik und städtischer Verwaltungsorgane zurück, was wirksame Maßnahmen gegen die Verschärfung der sozialräumlichen Polarisierung von vorn herein verhindert. Auch auf der Ebene der Stadt ist eine Feudalisierung der politischen Strukturen festzustellen: Demokratie im Ruhestand!
Demokratie im Ruhestand: Bonn 2010
Das Bonner Bundesviertel kann als entfunktionalisierte Zone betrachtet werden. Wie lässt sich die weitere Entwicklung dieses Gebiets unter den Bedingungen der globalisierten Customized bzw. Corporate City prognostizieren?
Bereits zum Zeitpunkt der Eröffnung am 30. Oktober 1992 hatte das Parlament mit seinem Beschluss zum Berlin-Umzug den neuen Plenarsaal in eine temporäre Zwischenstation verwandelt. Der demokratische Staat verlor auf seinem Weg nach Berlin die Lässigkeit der zerstreuten parlamentarischen Landschaft an der "rheinischen Riviera" und positionierte sich am neuen Standort - antizyklisch zur Revision des Zentralstaats durch Liberalisierung und Deregulation - mit dem falschen Pathos einer gekünstelten Inszenierung von Macht und wiedererwachtem Nationalstolz.
Identität und historische Kontinuität sind wichtige Elemente des Konzepts des New Urbanism: Das Bonner Bundeshaus fügt sich in idealer Weise ein als Denkmal oder auch Mahnmal für das nunmehr abgewickelte demokratische Projekt westdeutscher Prägung und besetzt eine Identität stiftende Position in der neu zu konstruierenden Community. Im Zentrum des neuen Bonner Bundesviertels gelegen, erinnert das Bundeshaus an den Versuch, mit den Mitteln der Architektur ein Idealbild bundesdeutscher Staatlichkeit zu zeichnen: Offenheit, Recht und Freiheit sollten sich in der Transparenz großzügiger Glasflächen, der zeitlosen Modernität weißer Putzfassaden, wieder finden lassen.
Aber schon im deutschen Herbst ließ sich die Idee des Verzichts auf herrschaftliche Gesten, das Regieren im nüchternen Gewand einer effizienten Verwaltung nicht mehr durchhalten. Die für das Bundesviertel einmal gewählte architektonische Sprache der Offenheit, Durchlässigkeit und Bescheidenheit musste fortan den Widerspruch einer hysterischen sicherheitstechnischen Aufrüstung ertragen.
Die architektonischen Hinterlassenschaften der in die neue Hauptstadt verzogenen Institutionen, die nun mehr im Vakuum der Berliner Mitte nach einer verträglichen Herrschaftssymbolik für den bereits an das globale Kapital übereigneten Sozialstaat forschen, eignen sich hervorragend für eine Übernahme durch die "urbanen Eliten" des "New Urbanism".
Dem demografischen Wandel in einer kinderlosen und immer älter werdenden Gesellschaft Rechnung tragend, scheint eine Mischnutzung aus innenstadtnahem, serviceorientiertem Wohnen - insbesondere für Singles, die bereits 36% aller Haushalte in Deutschland stellen - in Kombination mit einem internationalen Messe- und Kongresszentrum sowie Wellness-, Sport- und Freizeiteinrichtungen der richtige Weg für die weitere Entwicklung des Bonner Bundesviertels zu sein.
Sowohl die parkähnliche Gestaltung des ehemaligen Regierungsviertels, als auch seine Nachbarschaft zum Landschaftspark Rheinaue sowie die direkte Anbindung an die Bonner Innenstadt bieten alle Voraussetzungen, um in der langfristigen Zukunftsplanung den Schwerpunkt auf betreute Seniorenwohnungen zu legen, die in Gemeinschaft mit einer Kurklinik und einem Geriatriezentrum erfolgreich betrieben werden können. Hohe Renditen und eine ständig wachsende Zielgruppe - im Jahr 2050 werden bereits 37% der Deutschen älter als 60 Jahre sein - garantieren das Interesse privater Investoren. Am Markt dürfte sich dieses multifunktionale, auf die speziellen Bedürfnisse Älterer zugeschnittene Angebot zentrumsnahen Wohnens in einer Stadt der kurzen Wege ebenfalls erfolgreich behaupten. Zudem sich die verbliebene Infrastruktur zur Kontrolle und Sicherung der Bundesbauten ohne weiteres in die Konstruktion einer zugangs-kontrollierten städtischen Enklave einpassen lässt.
Bei sofortigem Baubeginn könnte die Umwandlung des Bundesviertels bereits im Jahr 2010 abgeschlossen sein. Hier finden Seniorinnen und Senioren mit kapitalgedeckter Alterssicherung eine komfortable Bleibe im Museum der Solidargemeinschaft: Demokratie im Ruhestand!